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Abi-Rede 2016

Guten Abend!

Ich möchte meine Abi-Rede mit einer kleinen Geschichte beginnen:

Es war der zweite Schultag hier an dieser Schule. Zusammen mit meiner damaligen Klasse, der 7 a, und unserem Klassenlehrer, Herrn Bröcker, machten wir eine Rally durch die Schule. Auf unserem Weg trafen wir auf einen Oberstufenschüler, der uns und Herrn Brücker sah und sagte: „Flieht, so lange ihr noch könnt!“

Damit ist es ihm gelungen, einen eh schon ängstlichen Siebtklässler noch weiter zu verunsichern. Doch, wie man sieht – wir sind nicht geflohen!

Trotz Höhen und Tiefen, Konflikten und trotz Phasen, in denen ich mich nicht aufraffen konnte als ich sah, dass montags in der ersten und zweiten Stunde Chemie auf dem Stundenplan stand.

Was für denen einen Chemie war, war für den anderen das Reck beim Sport.

Doch in der Rückschau war die Schule mehr als ein Ort, wo wir Chemie oder Sport hatten, mehr als ein Ort des Lernens. Sie war auch ein Ort des Zusammenseins. Wir trafen hier im Laufe unserer Zeit auf viele verschiedene Menschen – die wir außerhalb der Schule nie getroffen hätten. Die Schule war ein Ort des Miteinanders, obwohl es gerade am Anfang auch eine Art Zweckgemeinschaft vieler verschiedener Schüler unterschiedlicher Grundschulen war.

Doch daraus wurden Freundschaften, und obwohl wir jetzt auseinandergehen werden bin ich mir sicher, dass viele auch über den heutigen Tag hinaus halten werden. Was man gestern Abend an der tollen Stimmung und den vielen Umarmungen gesehen hat.

Selbstverständlich gab es auch, wie eben gesagt, Höhen und Tiefen. Ein Höhepunkt für mich persönlich: Der Schüleraustausch nach Lyon. Zuerst hatte ich große Zweifel, Sorgen, ob das überhaupt was für mich ist. Am Ende war es eine tolle Erfahrung, für die ich dankbar bin.

Oder auch unsere Abschlussfahrt der 10. Klasse nach Barcelona, wo jeder mit jedem in der Klasse sehr gut zurechtkam und es ein tolles Miteinander gab.

Und genau dieses Miteinander werde ich, werden wir alle, vermissen.

Denn jetzt bricht für uns alle eine Zeit der Veränderungen an. Vielleicht wird es nie wieder einen so großen Umbruch für uns geben wie jetzt, nach der Schule.

Da stellen wir uns jetzt natürlich die Frage: Wo geht’s hin, was kommt jetzt?

Wir werden nun ausschwärmen an die verschiedensten Orte. Ob an die Uni in Berlin, einen anderen Ort in Deutschland, nach Europa, Australien, Indien oder Südamerika, wie ich.

Eines ist klar: Wir kommen in eine für uns neue Welt.

Doch in was für eine Welt kommen wir eigentlich?

Ist sie eine voller Chancen und Möglichkeiten? Oder folgt jetzt die große Ungewissheit? Vielleicht liegt ja die Wahrheit, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Und wahrscheinlich war die Schulzeit eine gute Vorbereitung auf das, was vor uns liegt und die Auf und Abs, die uns erwarten.

Eines ist doch klar: Es ist eine unübersichtlich und gerade auch jetzt eine zum Teil aus den Fugen geratene Welt, in der Selbstverständliches in Frage gestellt wird und wir mit neuen Problemen konfrontiert sind. Wir fühlen uns an Orten nicht mehr sicher, die früher Orte des Zusammenkommens und der Freundschaft waren. Nach den Attentaten in Paris, Brüssel oder Istanbul fehlt uns die Leichtigkeit, die uns dort durch den Terror genommen wurde.

Doch nicht nur die Sicherheit, sondern auch die alten Muster des Zusammenlebens stehen in Frage durch die vielen Flüchtlinge, die zu uns kommen. Früher dachten wir, dass uns die Probleme der Welt nicht betreffen. Doch nun haben wir einen „Einbruch der Wirklichkeit“ erlebt, wie der Schriftsteller Navid Kermani formuliert.

Die Frage ist nun: Was machen wir? Ziehen wir uns zurück ins Private und überlassen wir Jeden seinem Schicksal? Oder nutzen wir unseres – auch hier – erworbenes Wissen und unsere Fähigkeiten, um andere zu unterstützen, denen es nicht so gut geht wie uns? Lösen wir die Probleme gemeinsam und europäisch?

Wir alle können Teil dieser europäischen Gesellschaft sein. Das klingt abstrakt, ist aber ganz einfach. Indem wir reisen und dadurch andere Kulturen verstehen, oder auch in einem anderen, europäischen, Land studieren.

Denn ich bin mir sicher, wer Kontakt zu Menschen anderer Herkunft hat, wer reist und sich bildet, der läuft niemandem hinterher, der genau gegen diese Menschen hetzt.

Wir sind jetzt erwachsen. Das heißt, wir haben viele Rechte. Doch damit einher gehen immer auch Pflichten und Verantwortung. Und diese müssen wir wahrnehmen. Und nicht so wie die jungen Briten die erst nicht zur Wahl gingen als es um die Zukunft ihres Landes in Europa ging und erst völlig überrascht und jetzt sogar erbost gegen die Entscheidung protestierten, auf die sie hätten Einfluss nehmen können. Lasst uns also Einfluss nehmen!

Nun vom Großen zurück zu uns. Wir danken denen, die versucht haben uns eben zu diesen weltoffenen, verantwortungsvollen Bürgern zu machen ­ – den Lehrern. Ja, unsere Beziehung war oft schwierig. Und ja, wir sind uns oft auf die Nerven gegangen!

Doch nun, wo’s eh vorbei ist, können wir uns endlich zu ein paar Worten des Dankes durchringen. Denn wir haben viele engagierte Lehrer an unserer Schule. Zum Beispiel unseren Schulleiter, Herrn Baumann, der immer ein offenes Ohr hatte für die Probleme der Schüler, egal der wievielte mit derselben Sache zu ihm kam. Oder Frau Nadolny, die beispielsweise den Schüleraustausch nach Lyon organisierte und immer mehr gegeben hat, als notwendig war. Das waren nur zwei von vielen Beispielen für tolles Engagement, all die anderen zu nennen würde zu lange dauern.

Doch auch die Eltern dürfen an dieser Stelle selbstverständlich nicht fehlen! Denn sie haben einen großen Anteil am Erfolg unserer Schullaufbahn. Denn ohne ihre Appelle, jetzt endlich das Handy beiseite zu legen und zu lernen, wären wir vielleicht schon in der 7. Klasse gescheitert und heute gar nicht hier.

Sie haben uns nach schlechten Noten wieder aufgemuntert und uns über den grünen Klee hinaus gelobt, wenn wir eine 4 plus in Chemie nach Hause gebracht haben. Danke, dass ihr euch, obwohl eure Schulzeit viele Jahrzehnte zurückliegt, nochmals mit Geometrie und Gedichtanalysen beschäftigt habt.

Um jetzt die Kurve zu einem würdigen Schluss zu kriegen, ein Zitat. Ich finde, es bringt unsere Situation auf den Punkt. Es ist von Anatole France, einem französischen Literaturnobelpreisträger, den ich bis vorgestern nicht kannte:

„Alle Veränderung, sogar die meistersehnten, haben ihre Melancholie. Denn was wir hinter uns lassen, ist ein Teil unserer Selbst. Wir müssen einem Leben Lebewohl sagen, bevor wir in ein anderes treten.“

Vielen Dank!

Jonas Rautenberg